(veröffentlicht 12.2013 WDR 5, „Speilart“, Geschichten, die Sie sich schenken können.)

Eine Frage der Perspektive

Zwei Raumäonen war es nun schon her, dass sie den blauen Planeten endlich gefunden hatten. Drei Geschwader waren nachgerückt, um das Forschergremium in seiner Arbeit zu unterstützen, siebenhundert Elofolianten bereits mit gesammelten Informationen und Bildern gefüllt und trotzdem waren sie noch keinen wesentlichen Schritt in der Entschlüsselung seines Geheimnisses weiter.
Seit Beginn der Raumreisen suchten sie nach anderem, intelligenten Leben, fremden Kulturen außerhalb ihres Sonnensystems. Die Entdeckung eines Planeten mit einer Atmosphäre, die der ihren so nah kam, wie nur irgend möglich, war eine Sensation. Leider mussten sie feststellen, dass die ehemalige, dominierende Lebensform, von der sie unzählige Abbildungen und Überreste fanden, eine Vergangene war. Die Gelehrten begannen sich zu streiten: Eine Zivilisation und intelligentes Leben zeichnete sich durch einen starken Überlebenswillen aus. Hier aber mehrten sich die Hinweise dafür, dass diese Spezies hartnäckig daran gearbeitet hatte, ihren eigenen Lebensraum kontinuierlich zu vernichten. Andere Stimmen sprachen von einem kollektiven, vielleicht religiös begründeten Selbstmord.
Das jedoch war nicht der für Ednok vorrangige Punkt.

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Grafik: TPHeinz, Pixabay

Ihn interessierte vor allem das komplexe Geflecht ihrer Götterverehrung. Verschiedene geografische Gebiete wiesen durchaus unterschiedliche kulturelle Merkmale auf, so als hätten sich diese Lebewesen mit der merkwürdig aufrechten Statur und den nur vier langen Auswüchsen, ihren jeweils andersartigen thermalen Zonen angepasst. Übergreifend über die gesamte stellare Kugel jedoch gab es einander ähnelnde Strukturen: kleine metallene Scheiben und bunte Scheine aus einer dünnen, trockenen Membran. Alle hatten gleichmäßige, wenn auch voneinander abweichende Schriftzeichen gemein. Noch fehlte der entscheidende Durchbruch der Kommunikwissenschaftler, die fieberhaft an der Entschlüsselung der Sprache und Schrift der fremden Kultur arbeiteten, die sich so von ihrer eigenen, grazilen aus filigranen Punkten unterschied.
Nachdenklich betastete Ednok den vor ihm liegenden, raschelnden Schein mit den Zeichen 50 Euro. Nur zu gerne hätte er gewusst, wer oder was dieser 50 Euro gewesen war. Oder der 10 Cent, der auf das braune Metallscheibchen vor ihm geprägt war. Bei vielen der gefundenen mumifizierten Leichen hatte man Beutel entdeckt, die gemischte Zusammensetzungen dieser Artefakte enthielten. In einer planetenübergreifenden Gemeinsamkeit fanden sich überall verschiedenste Apparaturen, die mit diesen Scheinen und Plättchen in Zusammenhang zu stehen schienen.
Es gab unzählige Arten von Maschinen, in die man sie einführen konnte: in den großen Bauten, die so viele verschiedene Dinge systematisch aufgehäuft waren, und die vermutlich Lagerhallen darstellten, gab es in Fächer unterteilte Laden dafür; Sockel, auf denen Abbilder fremdartiger Lebewesen zu bewegtem Leben erwachten und dazu Klänge von sich gaben. Man fand Behältnisse in den unterschiedlichsten Formen und Farben, gefüllt mit einer Mischung aus „Euro“, „Dollar“ und „Pesos“, „Yi Yuan“ und vielen mehr. Und nicht nur das: Da gab es riesige Bauten, in denen einzelne Hohlräume hinter dicken Toren mit nichts anderem vollgestopft waren.
Und hier begann der wissenschaftliche Zwist zwischen Ednok und seinen Kollegen.
Diese sahen in den Scheibchen und länglichen Membranen eine Art Opfer, die die hiesigen Wesen für alltägliche Dinge und Verrichtungen in ihrem Leben erbrachten. Immer, wenn sie um etwas baten, oder Nahrung erhielten, opferten sie etwas als Dank für ihre hilfreichen Götter. Diese Gaben wurden gesammelt und anschließend in den großen, geschützten Höhlen ebendiesen Göttern zur Ehre in Mengen dargeboten. Aus diesem Grund trugen die meisten der Lebewesen diese Opfergaben ihre kleinen Beuteln mit sich.
Aber Ednok war diese These zu unausgereift. Sie vermochte viele der vorgefundenen Dinge nicht zu erklären. Warum zum Beispiel wohnten einige der Wesen in großen, sauberen Bauten und andere ohne Schutz auf der nackten Oberfläche des Planeten? Wieso verfügten die einen über große Vorräte, während die anderen nur eine dünne Hülle um ihren eigenartigen Leib geschlungen hatten, oder in den metallenen Kästen mit Rundungen am unteren Ende, die vermutlich der Fortbewegung dienten, gefunden worden waren? Ihre These konnte auch nicht belegen, warum einige der Lebewesen über viele funktionstüchtige Kauwerkzeuge und mehr Umfang verfügten, wohingegen die Kauwerkzeuge anderer, wesentlich schmalerer Bewohner nur noch teilweise erhalten waren …
Seiner Meinung nach hatte alles, was sich auf diesem Planeten zugetragen hatte, einen Zusammenhang zu den Metallscheibchen und trockenen Scheinen. Seine erste Theorie, das Ziel der früheren Planetenbewohner habe darin bestanden, möglichst viel von diesen merkwürdigen Artefakten anzusammeln, wurde vom Forschungskader als vollkommen unsinnig abgeschmettert. Denn das hätte geheißen: Einer hätte mehr, als der andere haben wollen. Wozu hätte das gut sein sollen?
Nur widerwillig hatte Ednok eingesehen, dass seine Kollegen Recht haben mussten. Er hatte sich gedanklich auf neue Pfade begeben und eine Entdeckung gemacht, die all die losen Enden seiner Vermutungen zu einem festen Tau verwoben.
Alles lief darauf hinaus, dass es ihnen nur um eines gegangen war. Etwas so Wunderschönes, dass sie es nicht teilen wollten – so ungewöhnlich der Gedanke für Ednok und sein Volk auch sein mochte. Die Lebewesen hatten ihre Artefakte nur zu einem Zweck gesammelt und geopfert. Für diese eine, höchste Auszeichnung!
Mit vor Aufregung bebenden Fühlern strich er über die von ihm entdeckte, filigrane Membran.
Gegen die anderen groben, dunkel gestalteten Scheine und dem schweren Metall hob sie sich in ihrer Farbe und die wunderbar zierliche Leichtigkeit ab.
Selbst auf seinem Planeten wäre dies ein Kunstwerk, das seinesgleichen suchte. In feinen Zeichen stand darauf: Quittung. Vielen Dank für ihren Einkauf!